Serie: Leben im Alter
Die «neuen Alten» sind auch die «neuen Freiwilligen» – aber sie haben andere Erwartungen

Über die Hälfte der Seniorinnen und Senioren im Aargau engagieren sich freiwillig und ehrenamtlich in Organisationen oder in der Nachbarschaft.

Jörg Meier
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Paul Huber aus Brugg engagiert sich als Senior im Kindergarten Stapfer.

Paul Huber aus Brugg engagiert sich als Senior im Kindergarten Stapfer.

Foto: Claudio Thoma / Aargauer Z

Wie wichtig dieses Engagement für die Gesellschaft ist, zeigt die Statistik: Die rund 63'000 über 65-jährigen Personen arbeiten im Schnitt 2,7 Stunden pro Woche ehrenamtlich. Rechnet man diese Arbeitsleistung auf den ganzen Kanton hoch, dann ergibt das eindrückliche Zahlen: Die Seniorinnen und Senioren erbringen pro Woche rund 170'000 Stunden Freiwilligenarbeit. Das ergibt pro Jahr eine Arbeitsleistung von rund 8,8 Millionen Stunden, welche die Gesellschaft nichts kostet.

Besonders profitieren die Gemeinden: 80 Prozent der Freiwilligenarbeit werden am Wohnort geleistet. Die Gruppe der über 65-Jährigen ist auch die Altersgruppe mit der grössten sozialen Beteiligung. Im Schnitt sind 42,7 Prozent der Bevölkerung auch freiwillig tätig; bei den Senioren sind es 53,2 Prozent.

Serie: Leben im Alter

Senioren gründen eigene Organisationen

Dass sich viele Menschen über 65 engagieren möchten, stellt Vereine und Organisationen, aber auch die Gemeinden vor neue Herausforderungen. Denn die «neuen Alten» sind auch die «neuen Freiwilligen» und sie haben oft ganz andere Erwartungen und Ressourcen als die bisherigen Freiwilligen.

Das bestätigt Ines Walter Grimm, Geschäftsleiterin von benevol Aargau. «Für Menschen, die nicht mehr im Erwerbsleben stehen, hat das Sichengagieren, weiterhin Kompetenzen-Einbringen oder Sozialkontakte-Gewinnen eine grosse Bedeutung. Oft ist sie für sie wichtiger als für Menschen, die noch in ihren Berufen aktiv sind.»

Denn wer erst einmal pensioniert sei, verliere oft und schnell sein Netzwerk und werde auch nicht mehr angefragt. Dabei sei es genau das, was viele Pensionierte sich wünschen: «Sie möchten weiterhin teilhaben an der Gesellschaft und etwas Sinnvolles tun. Und sie möchten durch ihre freiwillige Arbeit Wirkung erzeugen, mitreden, mitgestalten, auf Augenhöhe wahrgenommen werden.»

Es gibt eine Reihe von Organisationen, die von Senioren gegründet worden sind und die gemeinnützige Projekte realisieren, indem sie die Kompetenzen der beteiligten Seniorinnen und Senioren abrufen. «Innovage» ist eine solche Organisation. Vor wenigen Wochen wurde in Lenzburg die Aargauer Sektion gegründet. Häufig machen da ehemalige Führungskräfte mit.

Wo man die guten Freiwilligen-Jobs finden kann

Aber längst nicht alle Senioren werden von sich aus aktiv, obschon sie sich gerne freiwillig betätigen würden. Sie möchten angefragt werden, erklärt Ines Walter Grimm. Sei es, weil sie sich nicht selber getrauen, sei es, weil sie gar nicht recht wissen, welche Möglichkeiten es gibt.

benevol berät Organisationen, die mit Freiwilligen arbeiten, unterstützt diese bei der Suche nach Freiwilligen und betreibt auch die Plattform benevol-jobs.ch im Internet. Diese schweizerische Plattform ist die grösste Plattform für Freiwillige und ist beliebt und erfolgreich. Und sie bestätigt, welche Freiwilligen-Jobs bei Senioren besonders begehrt sind: Es sind jene Tätigkeiten, bei denen die Senioren ihr Wissen und ihre Erfahrung einbringen können, wo es nicht nur um ausführende Arbeiten geht, sondern mitdenken und mitgestalten gefragt ist.

So ist etwa das Freiwilligenprogramm des Museum Aargau praktisch ständig ausgebucht. Ebenso die Angebote der Kantonsarchäologie; beliebt sind auch die Einsätze im Kunsthaus oder im Staatsarchiv.

Senioren engagieren sich auch gerne im Bildungsbereich; etwa bei «Senioren im Klassenzimmer» oder als Leserförderer und Deutschlehrerinnen für Menschen, die es nötig haben. Für manche Jobs gebe es bereits eine Warteliste, sagt Ines Walter Grimm. Es sei dringend nötig, dass sich die Politik klar darüber werde, wie die Gesellschaft mit den «neuen Freiwilligen» und ihrem grossen Potenzial, ihrem Fachwissen und ihrer Lebenserfahrung umgehe, sagt Ines Walter Grimm. Sie ergänzt: «Es darf nicht sein, dass Freiwillige lediglich, um Kosten zu sparen, eingesetzt werden.»