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Von Text zu Text und Raum im Raum oder was Neugierde schürt.

BildRaumErzählLabor erforschte Erzählformen als räumliche und performative Interventionen an spezifisch gewählten Orten im Schulhaus. Die Mittelstufe der Schule Magden übte sich über drei Monate im experimentellen Verhandeln von Raum- und Erzählverständnissen. Dabei wurde die Wahrnehmung der Schülerinnen und Schüler in den Mittelpunkt gestellt. Sie machten das Schulhaus zur Bühne und teilten mit ihrem Publikum Geschichten und visuelle Erlebnisse. In seinem Blogbeitrag reflektiert Michael Eul die Einbeziehung der Lehrpersonen im Verlauf des Projekts und berichtet von seinen Erkenntnissen.

Kind mit Plastikfolie, steht auf einer Treppe.
Foto: Bettina Eberhard und Michael Eul

Der Funke soll fliegen

Am Anfang des Projekts steht die Erzählung. Sie bildet die Grundlage für die Inszenierungen im Schulhaus. Sie ist Dreh- und Angelpunkt im Projekt und von wesentlicher Bedeutung für alle folgenden Schritte. Sie ist der erste zarte Funken, der zündet und das Feuer für das Projekt entfacht.

Es steht also ausser Frage, dass der Text den Schülerinnen und Schülern am Herzen liegen muss. Sie sollen dafür brennen! Denn das Verständnis des Textes und die emotionale Bindung an ihn sind die Quelle für die Motivation der Schülerinnen und Schüler, sich für die Dauer des Projekts intensiv schöpferisch mit ihm auseinanderzusetzen. Im Laufe des Projektprozesses werden sie die Vorlage deuten und interpretieren, über- und umsetzen, neu denken und wieder verwerfen. In BildRaumErzählLabor haben wir den Fokus draufgelegt, die Lebenswelt der Jugendlichen in das Projekt miteinzubeziehen. Bewusst haben wir den Begriff Text sehr weit gefasst: Comics, Film, Portraits von Social Media-Berühmtheiten, Songlyrik etc. hätten zur Vorlage für die geplante Inszenierung werden können.

Schatten vonvzwei Kinder hinter einem Vorhang, eines davon spielt Flöte
Foto: Bettina Eberhard und Michael Eul

Wie aber zu einem Text finden?

Die mythologische Erzählung von Arachne diente als Übungsvorlage. Durch die Klassenzimmer wurden Spinnennetze gesponnen und Teppiche aus Schreibutensilien erzählten Geschichten. So zeigten wir den Lehrpersonen, wie wir arbeiten und wie wir mit der Geschichte umgehen wollten. Es war wichtig, sie für die Ziele des Projekts zu sensibilisieren und sie als Komplizinnen und Komplizen zu gewinnen. Denn als wichtige emotionale Bezugspersonen der Schülerinnen und Schüler im Schulhaus haben sie wesentlichen Einfluss auf das Verhältnis, das die Schülerinnen und Schüler gegenüber dem Projekt entwickeln. Je grösser die Teilhabe der Lehrpersonen an der Durchführung des Projekts ist, desto intensiver fällt die Identifikation der Schülerinnen und Schüler damit aus. Ganz offensichtlich sind der emotionale Bezug und die Neugierde der Lehrpersonen, was das Projekt betrifft, wichtige Motoren für die Motivation der Schülerinnen und Schüler. So war es uns ein dringliches Anliegen, den Lehrpersonen den Raum zu bieten sich einzubringen. Auch sie sollten das BildRaumErzählLabor zu ihrem Experimentierfeld machen und gemeinsam mit ihren Schülerinnen und Schülern die Vorlage für das Vorhaben zu suchen.

Schulklasse mit gespanntes Klebeband.
Foto: Bettina Eberhard, Michael Eul

Ein schmaler Grat: Der Rahmen für die Freiheit

In der Praxis im Schulhaus zeigte sich, wie unterschiedlich die jeweiligen Lehrpersonen an die Vermittlung des Texts herangingen. Das afrikanische Märchen „Wie Hlakanyana das Ungeheuer überlistete wurde basisdemokratisch in der Klasse als Vorlage bestimmt und diente der Klasse zur perfekten Initialzündung. Die Schülerinnen und Schüler haben sich als selbstwirksam erlebt und die Neugierde, den Stoff in Bilder umzusetzen, kannte wenig Grenzen.

Kind mit Maske und Pflanze
Foto: Bettina Eberhard und Michael Eul

In einer anderen Klasse fand kein gemeinsamer Entscheidungsprozess statt. Die Lehrperson fand es spannender, das im Deutschunterricht besprochene Gedicht „Der Zauberlehrling in Bilder umzusetzen. Durch die bereits initiierte Vorbesprechung des Gedichts hofften wir auf eine vertiefte Auseinandersetzung. Wenn die Arbeit mit dem Text sehr weit in eine bestimmte Richtung fortgeschritten ist, zeichnet sich bei der Zusammenarbeit jedoch ab, dass bezüglich Deutung und Wirkung eine für das Projekt sehr wichtige Offenheit und Unbeschwertheit teilweise verlorengeht.

Drei Kinder während einer Aufführung
Foto: Bettina Eberhard und Michael Eul

Um den Text den Schülerinnen und Schülern zugänglich zu machen, wurde „Der Zauberlehrlingvon der Lehrperson als Rap-Song in der Klasse vorgestellt und als solcher von ihr interpretiert. In der Folge stellte es sich für die Schülerinnen und Schüler als sehr schwierig heraus, den eingeübten Umgang mit dem Gedicht abzuschütteln und sich auf den Inhalt der Vorlage neu und unverstellt einzulassen. Das Format des Raps, der Rhythmus, war wie eingebrannt. Die Herausforderung bestand für uns darin, mit dieser schon ausgeprägten Form umzugehen, indem wir sie auf der einen Seite akzeptierten und einfliessen liessen und auf der anderen Seite möglichst viel Raum für einenunverbrauchten Umgang schafften.

Drei verkleidete Kinder in einem Schulhaus.
Foto: Bettina Eberhard und Michael Eul

Davon, dass bestehende Bilder keine Einschränkung darstellen müssen, zeugt das dritte Beispiel, das von der Lehrperson in Eigenregie, aber mit viel Gespür für die Klasse und unser Vorhaben ausgewählt wurde. Das Bilderbuch „Ente, Tod und Tulpe“ zeichnet sich durch starke Bilder und wenig Text aus. Die vorgebenden Bilder wurden von den Schülerinnen und Schülern ausschliesslich als Raum für eigene Interpretationen angesehen und beflügelten ihre Fantasie.

Alle ins Boot, von Anfang an

Aus den in BildRaumErzählLabor gesammelten Erfahrungen ergibt sich als Konsequenz für uns, dass es zukünftig unabdingbar ist, die Lehrpersonen ins Boot zu holen, indem wir ihnen die Möglichkeit geben, ihre Selbstwirksamkeit in der eigenen ästhetischen Praxis zu erfahren. Um dies zu ermöglichen, müsste die Vorbereitung der Lehrpersonen einen deutlich grösseren Raum einnehmen. In einem nächsten Projekt würden die ersten Lektionen dazu dienen, den Lehrpersonen das Wesen des Projekts anhand von eigenen ästhetischen und gestalterischen Umsetzungen näherzubringen und ihnen so die Möglichkeit zu geben, es im Kern zu verstehen. So kann der Grundstein dafür gelegt werden, tatsächlich Hand in Hand mit ihnen diese Art von Kunstvermittlungsprojekten zu begleiten.

Hand mit Klebeband und einen Stuhl
Foto: Bettina Eberhard, Michael Eul

Projektdaten

Involvierte Kulturschaffende

Michael Eul und Bettina Eberhard

Zeitraum Projekt 08.04.2021 bis 07.06.2021
Schule(n) Schule Magden
Schulklassen fünf Klassen (5. und 6. Klasse)
Anzahl Schülerinnen und Schüler 100
Schulstufe(n) Mittelstufe
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Michael Eul

Die Erforschung von Raum als Spielraum spielt eine wesentliche Rolle in der bildnerischen Auseinandersetzung von Michael Eul und seinen Arbeiten an der Schnittstelle zwischen Malerei und Plastik. Neben seiner Tätigkeit als freischaffender bildender Künstler ist Michael Eul seit vielen Jahren im Rahmen unterschiedlicher Kunstvermittlungsprojekte tätig. So zum Beispiel an diversen Volksschulen im Kanton Zürich, innerhalb des von Yehudi Menuhin gegründeten MUS-E Projekts oder in freien Kunstvermittlungsprojekten wie "Schau-Spiel-Ort", das von Kultur macht Schule gefördert wurde.

Webseite: https://michaeleul.com

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    Bettina Eberhard

    Bettina Eberhard ist Filmemacherin und Kunstvermittlerin und versteht sich als Forscherin an der Schnittstelle Kunst und Bildung. Sie arbeitet aus einer künstlerisch-feministischen Perspektive, wobei ihr Fokus auf dem Erschaffen von Spiel-, Zwischen- und Gestaltungsräumen liegt und sie ihre künstlerische und kulturvermittelnde Praxis als Werkzeug einsetzt, um das Aufgleisen von neuen Komplizenschaften, aber auch das Hinterfragen der bestehenden Strukturen und Hierarchien zu unterstützen. Neben ihrer künstlerischen Arbeit zeichnet sie sich als Initiantin von Vermittlungsprojekten für Kinder und Jugendliche aus. Seit 2019 ist sie als Kulturagent.in im Kanton Thurgau tätig und begleitet zwei Schulen in dem Prozess Kulturelle Bildung als Ansatz in der Entwicklung von Schule zu erproben.