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Im Dialog bleiben: Was bedeutet „Nachhaltigkeit“ in Bezug auf Kooperationen zwischen Schulen und Kulturinstitutionen?

Zwei Projekte, zwei Kulturvermittlerinnen, viele Erfahrungen: Anna Schiestl (Forum Schlossplatz Aarau) und Domenika Chandra (Museum für Gestaltung Zürich) unterhalten sich über die Projekte „Raumlabor Remise“ und „Museumjung“ und gehen der Frage nach, wie solche Projekte dazu beitragen, langfristige Kooperationen mit Schulen aufzubauen. Der Dialog über Inhalte, Strukturen, Erlebnisse führt zu überraschenden Erkenntnissen für beide Seiten.

Installation von Bambuszweige an denen runde Ballone mit Augen und Münder. Neben dran eine Person liesst einen Text.
Projekt mit der 3. Schwerpunktfachklasse Bildnerisches Gestalten der Neuen Kantonsschule Aarau.

Im Dialog: „Raumlabor Remise“ und „Museumjung

Die Vermittlungsprojekte „Raumlabor Remise“ (August 2021 bis Januar 2022, Forum Schlossplatz) und „Museumjung“ (April 2021 bis März 2024, Museum für Gestaltung Zürich) greifen grundsätzlich die gleichen, die aktuellen Vermittlungsdiskurse bestimmenden Themen auf: Es geht um Partizipation und die Aneignung der Institution(en) durch junge Menschen.

Zwei Menschen bauen ein Plakatschild auf.
Foto: Peter Koehl / Forum Schlossplatz

Im Projekt „Raumlabor Remise“ plante und realisierte die 3. Klasse mit Schwerpunktfach Bildnerisches Gestalten der Neuen Kantonsschule Aarau während sechs Monaten eine eigene Ausstellung. Das Projekt zielte darauf ab, jungen Menschen eine Plattform zu bieten und die Vermittlung am Forum Schlossplatz aus dem Dornröschenschlaf zu wecken. Inhaltlich ging es ums räumliche Gestalten und Inszenieren, dabei diente die Remise den neun Schülerinnen und Schülern als Arbeits- und Ausstellungsort zugleich. Das Projekt begann mit einer Recherche im hauseigenen Archiv, um die Institution und ihre Inhalte kennenzulernen. Unterstützt von drei Kunstschaffenden und zwei Szenografen erfolgte im Anschluss die Konzeption und Umsetzung der eigenen gestalterischen Arbeiten im Raum. Eröffnet wurde die Ausstellung im Dezember und war bis Ende Januar öffentlich zugänglich. Anna Schiestl leitete das Projekt, das im Rahmen des Fördergefässes Prozessor unterstützt wurde.

Museumjung ist ein dreijähriges Kooperationsprojekt des Museum für Gestaltung Zürich und der Schule Limmat, das im April 2021 begonnen hat. Ziel ist es, Ideen und Meinungen der Schülerinnen und Schüler in den Museumsalltag einzubeziehen. Wie kann das Museum zu einem einladenden, lebendigen Ort für junge Menschen werden? Bislang fanden im Rahmen des Gesamtprojekts folgende Formate statt: Der Projektunterricht für die Sekundarstufe ist im Schulunterricht angesiedelt, das Freizeitangebot „Design Kids Club“ spricht die Primarstufe an. Thematische Projektwochen und -tage werden vom Projektteam zusammen mit Lehrpersonen für alle Schulstufen entwickelt. Museumjung wird realisiert durch die Förderung der SKKG (Stiftung für Kunst, Kultur und Geschichte). Domenika Chandra fungiert dabei als Bindeglied zwischen dem Museum und der Schule Limmat.

Zwei Menschen präsentieren Plakate vor einer Holzwand.
Ivan Šuta / Museum für Gestaltung

Die Idee, einen gemeinsamen Blogartikel zu schreiben, ergab sich aus den zahlreichen Gesprächen zwischen uns, Anna Schiestl und Domenika Chandra – es soll dabei kein Geheimnis bleiben, dass wir uns nicht nur privat kennen, sondern auch gemeinsam an anderen Projekten arbeiten. Als wir uns für diesen Artikel zusammensetzten, um über unsere Erfahrungen in den jeweiligen Projekten zu sprechen, kamen wir auf vier Leitfragen, um uns der übergeordneten Fragestellung anzunähern, wie solche Projekte langfristige Kooperationen zwischen Schule und Kulturinstitution schaffen können.

Wie wird die Kulturinstitution von der Schule wahrgenommen?

Diese Frage kann zugespitzt auch lauten: Wird die Kulturinstitution von der Schule überhaupt wahrgenommen? In Anna Schiestls Erfahrung ist das Forum Schlossplatz für viele Menschen schwer fassbar – allein schon aufgrund des Namens. Die Vielseitigkeit der Inhalte von Veranstaltungen und Ausstellungen sind die Stärke des Hauses, führen aber auch dazu, dass es sich in der Aussenwahrnehmung schwer festnageln lässt. Was bedeutet das für die Vermittlung? Das Profil des Hauses ist momentan im Wandel begriffen: Es setzt in Zukunft stärker auf zeitgenössische Kunst und Begegnung mit Kunstschaffenden. Für den Projektbeginn von „Raumlabor Remise“ bedeutete dies, mit den involvierten Lehrpersonen und den Schülerinnen und Schülern die Fragen zu beantworten „Was passiert hier?“, „Wo sind wir hier?“ und „Wer steckt hinter der Institution?“.

Zwei junge Menschen entknoten Wolle.
Foto: Peter Koehl / Forum Schlossplatz

Ganz anders präsentiert sich – nur schon räumlich gesehen – die Situation beim Museum für Gestaltung Zürich und der Schule Limmat: Sie sind drei Gehminuten voneinander entfernt. Das bedeutet, dass viele Lehrpersonen schon vor Projektbeginn mit ihrer Klasse im Museum waren und sowohl das Haus wie auch seine Inhalte bereits kannten. Dies schafft eine gute Basis und auch konkrete Erwartungen, auf denen ein solches Projekt aufbauen kann.

Wie wird das Projekt in der Schule wahrgenommen?

Wir haben über eine simple Grundvoraussetzung – das Wissen über die Kulturinstitution an der Schule – gesprochen und kommen nun zur Präsenz eines Kooperationsprojekts in den schulischen Räumen. Wie werden die Mitglieder der Schule darauf aufmerksam?

Domenika Chandra berichtet, dass durch den Projektauftakt des „Museumjung“ im Juli 2021, an der die gesamte Schule beteiligt gewesen ist, alle Schülerinnen und Schüler und Lehrpersonen zumindest einmal vom Projekt gehört haben. Neben den vom Museum initiierten Formaten ist auch die Teilnahme an schulischen Events wichtig: Das Projektteam des Museums nahm an der Lesenacht der Schule Limmat teil und lernte in diesem informellen Rahmen Mitglieder des Elternrats kennen, die wiederum grosses Interesse am Projekt zeigten.

Kinder jubeln und schauen zu bunten Fähnchen hoch.
Ivan Šuta / Museum für Gestaltung

Beim „Raumlabor Remise“ wurde die Stärke des Projekts – nämlich den Schülerinnen und Schülern nicht nur einen Ausstellungsraum, sondern auch einen Arbeitsraum ausserhalb der Schule zu bieten – zur Herausforderung. Das Projekt fand grösstenteils nicht an der 20 Gehminuten entfernten Neuen Kantonsschule Aarau statt. Für die Sichtbarkeit des „Raumlabors Remise“ an der Schule wurde viel unternommen: Die involvierten Lehrerinnen richteten am Gebäudeeingang eine Slideshow mit Bildern aus dem Prozess ein, wiesen bei der Lehrerkonferenz auf das Projekt hin und übergaben jeder Lehrperson eine Einladungskarte. Mit dem Open House Day gab es im Rahmenprogramm der Ausstellungen einen Event, der sich exklusiv an die Schule richtete. Rückblickend hält Anna Schiestl fest, dass sich der Erfolg eher an qualitativen Faktoren – zum Beispiel den Besuchen von Mitgliedern aus der Schulleitung an der Vernissage und dem Open House Day – und weniger an den Publikumszahlen bemessen lässt.

Welche Strukturen braucht es, um ein solches Projekt nicht nur sichtbar zu machen, sondern es auch in der Schule und der Kulturinstitution zu verankern?

Wir kommen zu einer Erkenntnis, welche die beiden vorangehenden Abschnitte zusammenfasst: Wenn das Projekt sowohl in der Schule wie auch in Kulturinstitution präsent und sichtbar ist, können nachhaltige und langfristige Kooperationen entstehen. Daraus resultiert die Frage, welche Strukturen einerseits in der Schule und andererseits in der Kulturinstitution notwendig sind, um solche Projekte durchzuführen oder überhaupt erst zu ermöglichen.

Domenika Chandra berichtet vom „Museumjung„:

Das Projekt ist von Beginn an auf grosse Offenheit seitens der Schulleitung gestossen. Sie kommunizierte das Projekt in der Schule und zeigte sofort grosses Vertrauen gegenüber dem Projektteam.

Ein wichtiges Gremium für die weitere Entwicklung des Projekts ist zudem die „Kerngruppe“, eine Arbeitsgruppe aus Lehr- und Betreuungspersonen aller Stufen. Diese Arbeitsgruppe übernimmt mit der Zeit immer mehr Verantwortung im Projekt.

Skulptur von einem Herz, Geschwür und Faden. Im Hintergrund schauen zwei Menschen mit Maske die Ausstellung an.
Foto: Peter Koehl / Forum Schlossplatz

Im Prozess ist grundsätzlich grosse Flexibilität von der Kulturinstitution gefragt, da sie sich oft einfacher an die Herausforderungen des Schulalltags, zum Beispiel an Semesterplanungen oder Stundenpläne, anpassen kann als umgekehrt. Diese Beweglichkeit ist aber auch in Bezug auf die ästhetischen Ansprüche an die durch die Schülerinnen und Schüler entstehenden Produkte und Arbeiten gefordert, die in den Ausstellungsräumen der Institution zu sehen sind. Anna Schiestl erinnert sich, dass im Verlauf des Projekts immer wieder der omnipräsente Leistungsdruck zum Thema wurde, sei es innerhalb des Projekts oder in den anderen Schulfächern. Eine Entkoppelung des Projekts von der Notengebung war nicht möglich; dafür konnte Anna Schiestl aber von Seiten des Forum Schlossplatz den Schülerinnen und Schüler signalisieren, dass ihre Arbeiten geschätzt und ernst genommen werden.

Zum Schluss: Wie wichtig ist der persönliche Kontakt?

Die Frage erscheint beinahe rhetorisch: Langfristige Kooperationen entstehen, indem die Schule (gemeint sind Schulleitung, Lehrpersonen sowie Schülerinnen und Schüler) weiss, wer hinter der Institution steckt. Das erfordert Konstanz, vor allem personell: Schwierig wird es, wenn die Besetzung der Vermittlungsstelle in kurzen Abständen wechselt. Nicht zuletzt geht es um ein Vertrauensverhältnis, das zwischen den Lehrpersonen und der Vermittler/-in aufgebaut wird. Beide Seiten lassen sich (meistens) auf ein herausforderndes Projekt ein, das viel Flexibilität im Denken und Handeln verlangt und ein Wagnis ausserhalb der alltäglichen Arbeitsroutine darstellt.

Im Dialog bleiben? Unbedingt! Diese simple Erkenntnis hat uns überrascht. Dabei zieht sich ihre Logik durch alle Ebenen: Für nachhaltige und langfristige Kooperationen ist der Dialog überlebensnotwendig. Gemeint damit ist der Dialog zwischen Kulturvermittler/-in, Lehrpersonen und Schülerinnen und Schüler, aber auch der Dialog der Kulturvermittler/-innen untereinander: Die einzelnen Projektteams stecken in hochkomplexen Prozessen, kommt man – projektübergreifend – ins Gespräch, ergeben sich auf einmal neue Perspektiven und die Feststellung, dass andere vor oft ähnlichen (wenn nicht den gleichen) Herausforderungen stehen und die oder der Einzelne damit keineswegs allein ist.

Raumlabor Remise

Involvierte Kulturschaffende

Lea Schaffner, Roman Sonderegger, Olivia Wiederkehr, Franz Gratwohl, Pino-Max Wegmüller, Stephan Wespi, Christoph Goechnahts

Involvierte Kulturinstitutionen

Forum Schlossplatz (www.forumschlossplatz.ch)

Zeitraum Projekt 01.08.2021 bis 31.01.2022
Schule(n) Neue Kantonsschule Aarau
Schulklassen 3. Klasse Schwerpunktfach Bildnerisches Gestalten
Anzahl Schülerinnen und Schüler 9
Schulstufe(n) Sekundarstufe II

Museumjung

Involvierte Kulturschaffende

Sophie Anderhub, Tiziana Artemisio, Vera Baumann, Flurin Bertschinger, Christoph Goechnahts, Milana Herendi, Franziska Hess, Pauline Koch, Sebastian Marbacher, Leila Remstedt-Drews, Nic Tillein, Mara Tschudi

Involvierte Kulturinstitutionen

Museum für Gestaltung Zürich (www.museum-gestaltung.ch)

Zeitraum Projekt 01.04.2021 bis 31.03.2024
Schule(n) Schule Limmat
Schulklassen alle Klassen
Anzahl Schülerinnen und Schüler 320
Schulstufe(n) Kindergarten, Unter- und Mittelstufe sowie Sekundarstufe inklusive Bundesasylzentrum Zürich-Klassen
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Anna Schiestl

Anna Schiestl arbeitet seit 2019 im Forum Schlossplatz und ist – neben der Arbeit an den laufenden Ausstellungsprojekten – verantwortlich für die Vermittlung am Haus. Gerade befasst sie sich mit der Frage, wie eine kleine Kulturinstitution nachhaltige Vermittlungsstrukturen aufbauen und verankern kann. Nach ihrem Master-Abschluss in Kulturanalyse, Kunstgeschichte und Geschichte der Neuzeit an der Universität Zürich arbeitete sie in den verschiedensten kulturellen Bereichen, vom Verlagshaus zum Architekturbüro bis hin zum Museumsbereich. Neben ihrer Tätigkeit im Forum Schlossplatz ist sie – gemeinsam mit Domenika Chandra und Hanna Diedrichs genannt Thormann – Teil des Kuratorinnen-Kollektivs "Kollektiv Kollektiv", das 2021 den Ausstellungszyklus "Communitas" im Kunsthaus Steffisburg umsetzte.

Webseite: https://www.forumschlossplatz.ch

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    Domenika Chandra

    Domenika Chandra arbeitet derzeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin Outreach im Rahmen des Projekts Museumjung im Museum für Gestaltung Zürich. Der Fokus ihrer Tätigkeit liegt auf der Öffnung der Institution für ein diverses Publikum. Dabei ist ihr die Schaffung von Anknüpfungspunkten zu den persönlichen Lebenswelten der Menschen besonders wichtig. Davor hat sie an der documenta 14 in Athen das Aufsichtsteam aufgebaut und geleitet. Ihr Studium absolvierte sie an der Universität Athen in Kommunikations-, Medien- und Kulturwissenschaften und schloss an der Zürcher Hochschule der Künste mit einen Master Curatorial Studies ab. Gemeinsam mit Anna Schiestl und Hanna Diedrichs genannt Thormann ("Kollektiv Kollektiv") kuratierte sie 2021 den Ausstellungszyklus "Communitas" im Kunsthaus Steffisburg.

    Webseite: https://museum-gestaltung.ch