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Geheimnis "gelüftet"

Das seit Anfang Jahr im aktualisierten Bauinventar der Gemeinde Safenwil aufgeführte Alte Schulhaus von 1909–10, ein charakteristischer Vertreter des Heimat- und Reformstils, gab anlässlich der Innenbesichtigung Rätsel auf: Im Dachraum wurden zahlreiche Schächte gefunden, die im Bereich der Trennmauern senkrecht in die Tiefe führten. Wohin genau und zu welchem Zweck? Ein Blick in die Bauakten und auf zeitgenössische Schulhausbauten half, das Geheimnis zu lüften.

Safenwil, Altes Schulhaus, Dachraum mit gemauerten Schächten. © Kantonale Denkmalpflege Aargau.

Als sich die Gemeinde Safenwil Anfang 20. Jahrhundert zum Bau eines neuen Schulhauses entschlossen hatte, beauftragte sie mit dem Projekt ein junges, engagiertes Architekturbüro in Zürich. Die Inhaber Karl Knell (1880–1954) und Alfred Hässig (1880–1943) hatten 1908 den Bund Schweizer Architekten (BSA) mitbegründet und konnten sich zu der Zeit mit ersten Aufträgen insbesondere im Schulhausbau erfolgreich etablieren. Bekanntheit erlangte Knell nach der Auflösung der gemeinsamen Firma 1922 unter anderem mit dem Geschäftshaus Schmidhof in Zürich, welches an der umgestalteten Sihlporte um 1930 einen städtebaulichen Akzent zwischen Neoklassizismus und Moderne setzte. Demgegenüber ist das 1909–10 entstandene Schulhaus in Safenwil dem Zeitgeist entsprechend noch dem Heimat- und Reformstil verpflichtet.

Safenwil, Altes Schulhaus, erbaut 1909–10 von Knell & Hässig, Zürich. © Kantonale Denkmalpflege Aargau.

Das Schulhaus als Aufgabe der Reformbewegung

Safenwil, Altes Schulhaus, Sitznische mit Brunnentrog im Eingangsbereich. © Kantonale Denkmalpflege Aargau.

Der Heimatstil war Teil einer alle Lebensbereiche einbeziehenden Reformbewegung. Entsprechend umfassend waren die Ansprüche in Bezug auf das Raumprogramm und die Gestaltung im Schulhausbau. Neben den allgemeinen Leitideen des Heimatstils wie die Rückbesinnung auf regionale Bautraditionen, Einfachheit und Natürlichkeit sowie einer kindgerechten Ausstattung bezüglich Farbigkeit, Ornamentik und Bildmotiven, zählten Licht, Luft und Hygiene zu den wichtigen Anliegen.

Das Schulhaus der Architekten Knell & Hässig ist ein typischer Heimatstilbau, der den Bestrebungen der Lebensreformbewegung Rechnung trägt. Der stattliche Baukörper zeichnet sich durch eine sorgfältige Gliederung und eine bewegte Dachlandschaft aus. Charakteristische Merkmale sind etwa das als Rustika ausgeführte Sockelgeschoss, der mit Holzschindeln verkleidete geschweifte Giebel mit dem Zifferblatt, die schmiedeeisernen Fenstergitter und der zurückhaltend eingesetzte Bauschmuck.

Safenwil, Altes Schulhaus, historische Ansicht des Korridors mit Wandbrunnen. Abb. aus: Die Schweizerische Baukunst, Bd. 3 (1911), S. 361.

Die für einen optimalen Einfall des Tageslichts nach Osten und Süden ausgerichteten Unterrichtszimmer sind mit grossformatigen Einzelfenstern ausgestattet. Für genügend Luft sorgen Zimmer mit einer Höhe von fast dreieinhalb Metern und grosszügige Zirkulationsräume. Ein überaus beliebtes Element damaliger Schulhäuser und Ausdruck der hygienischen Bestrebungen ist die Ausstattung mit Brunnen. Erhalten hat sich erfreulicherweise der in eine Sitznische mit Wandkacheln integrierte Brunnentrog im Eingangsbereich. Auf dem neuesten Stand waren zur Erstellungszeit auch die haustechnischen Installationen einschliesslich der sanitären Anlagen. So waren ursprünglich auf jedem der vier Geschosse Toiletten angelegt, es gab eine Zentralheizung und elektrische Beleuchtung. Eine weitere Errungenschaft der Reformbewegung war die Einrichtung von Bädern und Brausen, die umso bemerkenswerter ist, als dass die Einrichtung von Badezimmern in den damaligen Wohnhäusern noch nicht zum Standard gehörte.

Safenwil, Altes Schulhaus, Grundriss Untergeschoss. Abb. aus: Die Schweizerische Baukunst, Bd. 3 (1911), S. 358.

Relikte der bauzeitlichen Haustechnik

Safenwil, Altes Schulhaus, Blick vom Dachraum in einen der gefundenen Mauerschächte. © Kantonale Denkmalpflege Aargau.

Während die Badewannen und Duschen längst entfernt wurden, haben andere Einrichtungen aus der Bauzeit des Schulhauses als Relikt bis heute überdauert. So fielen bei der Besichtigung des Dachraums mehrere gemauerte Schächte auf, die – offenbar seit längerem unbeachtet – in L-förmiger Anordnung aus dem Mauerwerk zwischen dem Korridor und den Schulzimmern ragen.

Safenwil, Altes Schulhaus, ehemalige Schulküche im UG, Ventilations-Jalousie vor einem Lüftungsschacht in der Wand zum Korridor. © Kantonale Denkmalpflege Aargau.

In der ehemaligen Schulküche fand sich damit korrespondierend – hinter jüngeren Leitungen ganz oben in der Wand versteckt – eine Öffnung mit einem altertümlich wirkenden Gitter.

Darstellung einer Ventilationsjalousie. Abb. aus: Paul Lincke, 2. Die Schulbäder, a) Die technische Einrichtung, in: Jahrbuch der Schweizerischen Gesellschaft für Schulgesundheitspflege, Bd. 4 (1903), S. 27.

Exakt dasselbe Gitter ist in einem zeitgenössischen Artikel über die Lüftung von Badeeinrichtungen abgebildet: Es handelt sich um eine Ventilations-Jalousie, die mit einer Kette zu bedienen war. Dies ergibt Sinn, wollte man doch auch die Dämpfe, die beim Kochen entstehen, irgendwie abführen.

Safenwil, Altes Schulhaus, Grundrissplan von 1909 mit eingezeichneten Ventilationsschächten, Gemeindearchiv Safenwil. Foto: Katja Lesny, 2023.

Letzte Zweifel konnte schliesslich ein Grundrissplan aus dem Konvolut der Baupläne und Verträge zum Schulhaus ausräumen. Der Plan zeigt genau an den Stellen, wo sich die Schächte befinden, Aussparungen im Mauerwerk (hier hellblau markiert) mit den Bezeichnungen "V. B.", "V. K.", "V. P.", "V. 1. St.", womit die Ventilation des Bades, der Küche, des Parterres und des ersten Stocks gemeint sein dürften. Gemäss Plan existieren solche auch in den Mauern zwischen dem Korridor und den Toiletten. Durch die Mauerschächte wurde also die verbrauchte Luft aus den Schulzimmern und Nasszellen in den Dachraum abgeleitet. Für die Zufuhr frischer Luft sorgten gemäss einer historischen Bildquelle die um 1900 beliebten Klappflügel im oberen Bereich der Fenster.

Einzelfall oder Standard?

Tatsächlich sind vergleichbare Ventilationskanäle auch von anderen Schulhäusern der Zeit bekannt. Etwa vom Schulhaus Lavater in Zürich-Enge, das von Gustav Gull (1858–1942) bereits 1896–97 realisiert wurde, von der Schulanlage Maihof in Luzern, 1906 von Othmar Schnyder (1849–1928) erbaut, oder vom 1909 errichteten Zentralschulhaus in Speicher (AR) von Johann Staerkle (1873–1938). In Luzern und Speicher erfolgte der Einlass der frischen Luft nicht nur durch die Fenster, sondern auch durch Öffnungen in der Fensterbrüstung. Perforierte Bleche leiteten die Aussenluft zunächst auf die Heizkörper, bevor diese im Winter temperiert ans Schulzimmer abgegeben wurde. Ob dies ehemals auch im Schulhaus in Safenwil der Fall war, ist nicht bekannt.

Die Einrichtung einer integrierten Lüftung zur Verbesserung der Luftqualität dürfte um 1900 zeitgemäss, aber kaum selbstverständlich gewesen sein. In Zürich und Luzern wurden die Schächte bei der jüngsten Sanierung wieder ins Konzept der Haustechnik einbezogen – vielleicht werden sie dereinst auch in Safenwil wieder eine Funktion übernehmen? (Katja Lesny)