Arbeitsmarkt Fokusartikel

Personalmangel stellt Kitas vor ein Dilemma

Januar 2023

In vielen Kindertagesstätten fehlt es an Personal. Viele offene Stellen können trotz intensiven Rekrutierungsversuchen nicht besetzt werden. Damit sich die Situation verbessert, müsse in der Gesellschaft ein Umdenken stattfinden, sagt Kibesuisse.

Zauberloki, Wombat, Märliwald, Schildchrötli oder Waldmuus: Die Namen der Kindertagesstätten mögen sich unterscheiden, doch eines verbindet sie: alle sind sie auf der Suche nach ausgebildetem Personal. Und nicht nur sie, auch viele weitere Kitas in der ganzen Schweiz haben Stellen als Krippenleiter*in, Miterzieher*in oder Fachperson Betreuung zu besetzen. Klickt man sich durch die verschiedenen Branchenportale, wird schnell deutlich, das schweizweit derzeit rund 1000 Stellen ausgeschrieben sind. Für gut Zweidrittel davon ist ein Fachabschluss nötig. Auch im Stellenmarkt von sozialinfo.ch wurden in den letzten Monaten vermehrt Stelleninserate von Kindertagesstätten publiziert. Zeit, nach den Gründen zu fragen.

Vorurteile halten Männer ab

Noch immer sind es vorwiegend Frauen, die in der familienergänzenden Bildung und Betreuung tätig sind. Um dem Personalmangel entgegenzuwirken, wäre es daher wünschenswert, es würden sich mehr Männer für Berufe für diesen Bereich begeistern. Wie Zahlen der Schweizerischen Dachorganisation der Arbeitswelt Soziales SavoirSocial zeigen, lässt sich für den Fachmann Betreuung Fachrichtung Kinder in den letzten Jahren eine leicht steigende Tendenz feststellen. Im Jahr 2021 betrug der Anteil Männer 16 Prozent (oder: 485 von 3060 Lehrverhältnissen). Für den Kindheitspädagogen HF ist der Anteil mehr oder weniger konstant geblieben und betrug 2021 lediglich 8 Prozent (27 von 344 Abschlüssen).

Warum Männer noch immer so stark untervertreten sind, hat gemäss Kibesuisse verschiedene Gründe. Eine Rolle spielten noch immer geschlechtliche Stereotype, wie beispielweise die Vorstellung der Kinderbetreuung als eine vermeintlich weibliche Aufgabe. Bis heute würden soziale Tätigkeiten Mädchen zugeschrieben und vorgelebt. Für sie sei damit die Schwelle, in einen entsprechenden Beruf einzusteigen, weit niedriger als für Buben. Auch das soziale Umfeld (und dessen Erwartungen) hätten einen grossen Anteil daran, welche Tätigkeiten später ausgeübt werden. Kibesuisse führt einen weiteren Punkt auf: Noch immer bestünden auch Vorurteile, wie zum Beispiel der Generalverdacht des sexuellen Missbrauchs und die Befürchtungen von potenziellen Konflikten in geschlechtergemischten Teams. Solche Vorurteile seien sicher auch mitverantwortlich dafür, dass «überdurchschnittlich viele Männer das Berufsfeld der familienergänzenden Bildung und Betreuung wieder verlassen», schreibt Kibesuisse.

Während sie noch vor wenigen Jahren auf eine ausgeschriebene Stelle fünf bis zehn geeignete Bewerbungen erhielt, müsse sie heute froh sein, wenn sie mehr als eine erhalte, sagt die Geschäftsführerin einer Berner Kita, die nicht namentlich genannt werden möchte. Als im letzten Sommer innerhalb von drei Monaten gleich zwei Fachpersonen Betreuung und zwei Miterzieherinnen die Kita verliessen, sei sie «am Rotieren» gewesen. Drei der vier Stellen habe sie zwar erstaunlich schnell besetzen können, für die vierte habe sie einen «enormen Aufwand» betreiben müssen. Das habe sie viel Energie gekostet. Zum Glück sei kurzzeitig eine ehemalige Mitarbeiterin eingesprungen, bis auch die vierte Stelle besetzt war.

Leistungsabbau als Folge

Nicht überall geht die Geschichte so glimpflich aus wie in dieser Berner Kita. Rückmeldungen und Umfragen aus der Branche hätten deutlich gezeigt, dass sowohl Stellen für qualifiziertes Personal als auch Lehrstellen «trotz intensiven Rekrutierungsversuchen» nicht besetzt werden können, schreibt der Verband Kinderbetreuung Schweiz Kibesuisse auf Anfrage. Einige Trägerschaften seien bereits gezwungen gewesen, Betreuungsplätze abzubauen oder ihre Öffnungszeiten zu reduzieren. So zum Beispiel in diversen Kitas in der Stadt Luzern, wo sich die Situation in den letzten Monaten stark zugespitzt habe.

Dies zeige deutlich, dass es sich nicht nur um einen Fachkräftemangel, sondern um einen generellen Personalmangel handle. «Dieser ist auf allen Funktionsstufen höchst akut und ergibt sich durch schlechte Rahmenbedingungen, tiefe Löhne und wenig Perspektiven. Betreuungsfachpersonen verlassen die Branche nach wenigen Jahren.» Dieser Effekt werde durch den Fachkräftemangel an Schulen zusätzlich verstärkt. Da das Schulsystem (und häufig auch die öffentlich-rechtlichen schulergänzenden Tagesstrukturen) im Vergleich zu Kindertagesstätten über deutlich mehr finanzielle Ressourcen verfüge, wechselten nun Betreuungsfachpersonen die Seiten. Dies ergebe einen Übertragungs- oder «Spillover»-Effekt: Zwei (Teil-)Branchen, die beide vom Fachkräftemangel betroffen sind, würden gegeneinander ausgespielt, so Kibesuisse.

Investitionen sind unumgänglich

Kibesuisse fordert seit Jahren, dass die Qualität der familienergänzenden Bildung und Betreuung ausgebaut wird. Damit dies gelingen könne, brauche es bessere Rahmenbedingungen und mehr Wertschätzung der Politik für diese systemrelevante Branche.

Kibesuisse kritisiert Gesetzesentwurf

Im Parlament wird gegenwärtig das «Bundesgesetz über die Unterstützung der familienergänzenden Kinderbetreuung und der Kantone in ihrer Politik der frühen Förderung von Kindern (UKibeG)» vorbereitet. Es soll das bisherige, seit 2003 laufende Impulsprogramm zur Förderung der familienergänzenden Kinderbetreuung ablösen. Das UKibeG bezweckt, die Kosten familienergänzender Kinderbetreuung für Familien zu senken und damit die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit zu verbessern. Dafür will der Bund jährlich rund 530 Millionen Franken einsetzen. Gleichzeitig soll die Politik der familienergänzenden Kinderbetreuung sowie der frühen Förderung von Kindern weiterentwickelt werden. Hierzu sind Investitionen in der Höhe von insgesamt 160 Millionen für die ersten vier Jahre vorgesehen, so die WBK-N.

Der Verband Kibesuisse begrüsst in seiner Vernehmlassungsantwort die Zielsetzungen der Vorlage; sie deckten sich mit dem durch den Verband festgestellten dringenden Verbesserungsbedarf. Jedoch kritisiert er die aus seiner Sicht ungenügenden Investitionen in die Qualitätsentwicklung.

Und: «Die öffentliche Hand muss rasch und engagiert mehr Geld in die Hand nehmen.» Den Entwurf zum «Bundesgesetz über die Unterstützung der familienergänzenden Kinderbetreuung und der Kantone in ihrer Politik der frühen Förderung von Kindern (UKibeG, das das bisherige, seit 2003 laufende Impulsprogramm zur Förderung der familienergänzenden Kinderbetreuung ablösen soll, befindet Kibesuisse im Hinblick auf die Qualitätsentwicklung als nicht genügend (siehe Box).

Um dem Personalmangel kurz- und mittelfristig entgegenzuwirken sowie die Betreuungsqualität zu verbessern, ist Kibesuisse deshalb daran, flankierende Lösungsansätze zu erarbeiten. So sucht der Verband nach Lösungen für Aus- und Weiterbildungsangebote für vorhandenes, unqualifiziertes Assistenzpersonal, Personal mit ausländischem Diplom oder Quereinsteiger*innen. Auch ist Kibesuisse in Kontakt mit den Berufsinformationszentren, um einerseits das Bild der Bildungs- und Betreuungsbranche positiv zu beeinflussen, und andererseits die Bekanntheit der Berufe «Kindheitspädagog*in HF» und «Betreuungsperson in Tagesfamilien» zu erhöhen.

Kinder als Leidtragende

Aber Kibesuisse weist auch auf das grundsätzliche Dilemma hin, in dem die Branche steckt: «Abbau von Qualität oder Abbau von Betreuungsplätzen.» Qualität hänge von zwei Faktoren ab: von einem adäquaten Betreuungschlüssel und von qualifiziertem Personal. Dies bedeutet, dass die Qualität eines Betreuungsangebots sinkt, wenn gleichviele Betreuungsplätze mit weniger und/oder schlechter qualifiziertem Personal angeboten werden. Gleichzeitig erhöhe sich für die verbleibenden Betreuungspersonen weiter der Druck, da die Qualitätssicherung auf noch weniger Schultern laste. Dies treibt wiederum die Fluktuation und die Abwanderung in andere Berufe an, was den Fachkräftemangel weiter verschärft, der in vielen Branchen herrscht. Für Kibesuisse geht es hier um eine gesamtgesellschaftliche Frage, wie die vorhandene Arbeit verteilt werde, «sei sie mit oder ohne Entgelt». Und: Die Leidtragenden dieser Abwärtsspirale seien in beiden Szenarien des Dilemmas die Kinder. Dies sei «ein Armutszeugnis für das Bildungsland Schweiz.»


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