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Für die Ewigkeit

Ein römisches Öllampchen mit brennendem Docht.

In einem dreieinhalb Jahre dauernden Forschungsprojekt wertet ein interdisziplinäres Team das Gräberfeld Brugg-Remigersteig aus der frühen römischen Kaiserzeit aus. Es ist das Gräberfeld mit den am besten erhaltenen Gräbern dieser Zeit im Aargau.

Von 22. Oktober 2012 bis 26. April 2013 fand während zwei Grabungskampagnen in der Gemeinde Brugg eine ungeplante Notgrabung statt. Am Remigersteig wurden auf einer bisher nicht bebauten Fläche von rund 850 Quadratmetern die Überreste einer frühkaiserzeitlichen und spätantiken Nekropole (30−60 n. Chr. bzw. 4. Jahrhundert n. Chr.) ausgegraben.

Diese Nekropole ist eine Fundstelle von internationaler Bedeutung. Denn im Kanton Aargau, in der Schweiz und weit darüber hinaus gibt es kaum vergleichbar grossflächig und modern dokumentierte und derart ausserordentlich gut erhaltene Gräberfelder.

Die Fundstelle

Ein Ausgräber legt eine Graburne frei.
Foto Kantonsarchäologie, © Kanton Aargau

Das Grabungsteam legte insgesamt rund 150 Gräber aus dem 1. Jahrhundert n. Chr. frei. Darunter befinden sich auch vier Grabbauten und eine Strasse. Bei einigen Gräbern fanden sich intakte Grabhügel über den Gräbern und bei manchen Gräbern waren sogar noch Hinweise auf oberirdische Grabkennzeichnungen erhalten wie zum Beispiel Holzpfosten. Weiter kamen zahlreiche aussergewöhnliche Strukturen zum Vorschein, von denen einige einzigartige Hinweise auf rituelle Praktiken geben: Es wurden mehrere Stellen über und neben Gräbern beobachtet, an denen der antike Gehhorizont durch Verbrennungen gerötet war.

Insgesamt wurden rund 11'000 Fundobjekte geborgen, wovon die Keramikscherben mit etwa 80% den weitaus grössten Anteil ausmachen. Eine grössere Gruppe stellen die Metallfunde dar mit etwa 12%. Das Besondere dabei ist, dass viele Gräber vollständig erhalten sind und darum bei mehreren Gräbern alle Funde aus dauerhaften Materialien die Zeit überdauert haben. Auf der Grabung wurden ausserdem systematisch Proben für naturwissenschaftliche Analysen entnommen und heikle Funde en bloc geborgen.

Bergung und Dokumentation der römischen Bestattungen

Ein Ausgräber und ein Restaurator säubern den frisch umgedrehten Grabsteins von der Erde.
Zum ersten Mal seit 2000 Jahren wieder sichtbar: der frisch geborgene Grabstein von Quietus wird von der Erde befreit. Das Bildnis des verstorbenen 4-jährigen Jungen ist schon zu erkennen. Foto Kantonsarchäologie, © Kanton Aargau
Ein Brandgrab mit Gefässen aus Keramik und Glas als Beigaben. Foto Kantonsarchäologie, © Kanton Aargau
Links oben ein Brandgrab, in der Mitte ein Körpergrab und rechts unten das Grab eines Hundes.
Links oben ein Brandgrab, in der Mitte ein Körpergrab und rechts unten das Grab eines Hundes. Foto Kantonsarchäologie, © Kanton Aargau
Der freigelegte runde Grabbau.
Der runde Grabbau im freipräparierten Zustand. Der Grabstein stand einst auf dem rechteckigen Steinquader. Foto Kantonsarchäologie, © Kanton Aargau
Ein Zeichner dokumentiert das Innere des Grabmomuments.
Die beiden Urnen im Innern des Grabmonuments werden dokumentiert. Foto Kantonsarchäologie, © Kanton Aargau
Ensemblefotografie der Grabbeigaben.
Gut gerüstet fürs Jenseits: Die Grabbeigaben der verstorbenen Maxsimila. Foto Kantonsarchäologie, © Kanton Aargau
Die linke Keramikurne ist dunkelgrau, die rechte Urne ist orange.
Die Urne (grau) mit "Deckel" (orange) des verstorbenen Mädchens Heuprosinis. Foto Kantonsarchäologie, © Kanton Aargau

Das Auswertungsprojekt Brugg-Remigersteig

Vindonissa ist einer der besterforschten Fundorte des Römischen Reiches, wobei sich die Forschung bisher vor allem auf das Legionslager konzentriert hat, während die Zivilsiedlung und die Gräberfelder erst in den letzten Jahrzehnten in den Fokus der Forschung gerückt sind. Bisher sind in der Schweiz sehr wenige römische Gräber mit aussergewöhnlich guten Erhaltungsbedingungen bekannt. Die wenigsten sind Neuentdeckungen, die mit modernen Methoden ausgegraben und ausgewertet werden können.

Die Auswertung der Fundstelle Brugg-Remigersteig kann entscheidend zum Erkenntnisgewinn zur römischen Antike beitragen. Damit ein ganzheitliches Bild zum Umgang mit dem Tod zur römischen Zeit im Aargau entsteht, bezieht das Auswertungsteam ein breites Spektrum an Quellen in die Auswertung ein. So lassen sich Menschen und ihre Geschichten fassen, die in den schriftlichen Quellen fehlen und zu denen der Wissensstand − in Vindonissa aber auch allgemein − weniger fortgeschritten ist als beispielsweise jener zu römischen Soldaten.

Das Auswertungsteam

Funde aus zwei Gräbern zur Bearbeitung ausgelegt.

Das Auswertungsteam besteht aus dreizehn Personen: eine Archäologin widmet sich dem archäologischen Befund vom Remigersteig, eine weitere Archäologin und ein Archäologe analysieren Inschrift und Bild der Grabsteine. Die Menschenknochen werden von zwei Anthropologinnen, einer Isotopen-Spezialistin und einem Archäogenetiker untersucht. Die Tierknochen werden von einer Zoologin und die Pflanzenreste von einem Botaniker und die Pollen von einer Palynologin ausgewertet. Grabsteine und Sedimente nimmt ein Geoarchäologe unter die Lupe. Die Münzen aus den Gräbern erforschen zwei Numismatiker.

Antike Glaubensvorstellungen und rituelle Handlungen

Links Grabstein mit Relief einer Frau und rechts mit Porträt eines Jungen.
Der Grabstein von Maxsimila und Heuprisinis (links) und vom Jungen Quietus (rechts). Foto Kantonsarchäologie, © Kanton Aargau

Das Auswertungsteam will rekonstruieren, welche antiken Glaubensvorstellungen sich in rituellen Handlungen und Praktiken manifestieren. Gräber eignen sich dafür besonders gut, da (fast) alles, was an und in Gräbern geschieht in der Regel intentionellen Handlungen entspringt. Denn hinter den Handlungen stehen Absichten, die die jeweiligen Glaubensvorstellungen widerspiegeln. Diese Glaubensvorstellungen entwickeln sich ständig weiter und zwar besonders schnell an soziokulturellen Hotspots wie Vindonissa. Antrieb dieser Weiterentwicklung ist die grosse Anzahl an Menschen, die aus verschiedenen Orten im Römischen Reich nach Vindonissa kamen: Soldaten, Händler, Handwerker, Sklaven, Frauen und Kinder. Die Gräber von Brugg-Remigersteig geben uns Einblicke in die Lebensgeschichten jener Personen, über die wir bisher am wenigsten unterrichtet sind: Frauen, Sklaven und Kinder. Zentral in den antiken Glaubensvorstellungen war der Wunsch, lange in Erinnerung zu bleiben. Dass die Erinnerung 2000 Jahre nach ihrem Tod durch ein Forschungsprojekt noch einmal aufleben wird, hat wohl niemand vorhergesehen.