Hauptmenü

Zurück

Luzern und Freiburg in Tegerfelden

Bei den Forschungen für den Kunstdenkmäler-Band AG XI, Der Bezirk Zurzach I – er widmet sich den Gemeinden im Aaretal, im Surbtal und im Kirchspiel Leuggern und erscheint Ende 2024 – bot die 1664 errichtete Kapelle St. Sebastian in Tegerfelden lange Zeit eine Knacknuss. In ihrem Chor hängen zwei geschnitzte Wappentafeln in sorgfältiger Farbfassung, doch hat sich bisher niemand darüber Gedanken gemacht, wer sich hier verewigen durfte.

Westansicht der Sebastianskapelle in Tegerfelden. © Kantonale Denkmalpflege Aargau, Roger Wehrli

Wie kam es eigentlich zum Bau der Kapelle? Tegerfelden war seit der Reformation grossmehrheitlich reformiert. Laut einer Bestimmung des 2. Kappeler Landfriedens (1531/32) durfte die reformierte Bevölkerung Tegerfeldens das alte Gotteshaus, d.h. die vorreformatorische Kapelle, für sich nutzen. Hingegen wurde damals das Gotteshaus im benachbarten Unterendingen den katholisch gebliebenen Gläubigen von Endingen, Unterendingen und Tegerfelden überlassen. 1663 durften diese sich zur Pfarrei Unterendingen zusammenschliessen, die sich mit Einwilligung des Chorherrenstifts Zurzach aus der Pfarrei Zurzach löste. Die wenigen katholischen Familien Tegerfeldens hatten den Gottesdienst in der 1661 geweihten Kirche St. Georg in Unterendingen zu besuchen.

1662 begann die protestantische Mehrheit Tegerfeldens im Einverständnis mit der Tagsatzung den Bau einer neuen Kirche auf einem eigenen Grundstück. Die Baubewilligung wurde aber bald widerrufen, worauf sich die konfessionell zerstrittenen eidgenössischen Orte wegen dieses Kirchenbaus bzw. des Baustopps monatelang in den Haaren lagen. Schliesslich unterlag die katholische Seite, und die reformierte Kirche konnte 1664 vollendet werden. Die katholische Seite konzentrierte sich in der Folge darauf, für ihre Glaubensbrüder- und schwestern in Tegerfelden selbst einen Kapellenbau zu ermöglichen. Der Vergleich, mit dem der erwähnte Kirchenbaustreit 1663 beigelegt worden war, überliess die alte vorreformatorische Kapelle den Katholiken zum Abbruch innert Jahresfrist und erlaubte ihnen explizit den Bau einer neuen Kapelle an einer beliebigen anderen Stelle in Tegerfelden.

Freundeidgenössische Hilfe

Inneres der Sebastianskapelle mit den geschnitzten Wappentafeln oben beidseits des Altars. © Kantonale Denkmalpflege Aargau, Roger Wehrli

Tegerfelden zählte in den 1660er-Jahren nur einige wenige Familien katholischen Glaubens. Diesen wäre es nicht möglich gewesen, ohne Hilfe der katholischen "Verbündeten" eine Kapelle zu bauen und angemessen auszustatten.

Der letzte Propst und wichtigste Chronist des Chorherrenstifts Zurzach, Johannes Huber, berief sich 1868 auf einen im Pfarreiarchiv Unterendingen liegenden Spendenrodel (der jüngst leider nicht mehr auffindbar war) als er ausführte, die Kosten für den Tegerfelder Kapellenbau seien grösstenteils durch "Liebesgaben" gedeckt worden.

Spenden an den Bau von Kirchen und Pfarrhäusern wurden früher im Allgemeinen aktiv eingeworben, indem ein kleiner, mit Beglaubigungsschreiben ausgestatteter Sammeltrupp über Monate unterwegs war und die potenziellen Spender (Städte, Klöster und dergl.) abklapperte. Über die geschenkten Geldbeträge und Sachspenden wurde in Spendenrödeln genauestens Buch geführt. Für die gleichzeitig errichtete reformierte Kirche Tegerfeldens ist die Spendenliste ("Steürbüchlin" von 1662) im Pfarrarchiv erhalten.

Das Who Is Who der Spendenden

Schnitzfigur des Kapellenpatrons Sebastian aus dem 17. Jh. © Kantonale Denkmalpflege Aargau, Roger Wehrli

Als Wohltäter der Tegerfelder Kapelle taten sich gemäss dem von Huber überlieferten Spendenrodel u.a. hervor: Die Stadt Luzern sowie die Stände Uri, Schwyz, Unterwalden und Zug mit je 40 Gulden (Gl.), die Stadt Solothurn mit 4 und die Stadt Freiburg mit 2 Dublonen, der Landammann und der Rat von katholisch Glarus mit 15 Gl. Von den umliegenden Städten und Gemeinden gaben Baden 16 Gl., Bremgarten 10 Kronen, Klingnau 8 Gl., Kaiserstuhl 9 Gl., Mellingen 12 Gl. Auch Einzelspender werden namentlich aufgeführt. Der päpstliche Nuntius Borromäus schenkte 40 Gl., Franz von Sonnenberg, u.a. Komtur der Johanniterkommende Leuggern-Klingnau, steuerte einen Dukaten und ein Messgewand bei, Oberst Heinrich Fleckenstein spendete 16 Gl., das für die Messfeier nötige Zubehör und liess noch dazu den Altar errichten. Alphons von Sonnenberg von Luzern, alt Landvogt in Baden, vergabte 16 Gl. Der bischöflich-konstanzische Obervogt in Klingnau, Johann Franz Heinrich Zwyer von Evibach (amt. 1633–1678), beteiligte sich mit einem Dukaten; Hans Ulrich Schnorf, Untervogt in Baden, stiftete die grössere Glocke (vgl. Tegerfelder Glockengeschichten) und seine Frau Anna Barbara, geb. Dorer, schenkte 1 Mütt Roggen und ½ Saum Wein. Der Luzerner Oberst Franz Pfyffer spendete 12 Gl. an ein "Fenster mit Schild" (nicht erhalten), überdies schenkte er das Grundstück, auf dem die Kapelle erstellt wurde. Der Urner Landammann Johann Ulrich Püntener (1635–1717) steuerte 3 Dukaten bei. Geld- und Sachspenden kamen auch von den umliegenden Klöstern: Muri (24 Gl.), Rheinau (3 Saum Wein), Wettingen (20 Gl.), Sion bei Klingnau (2 Saum Wein), Hermetschwil und Fahr (je 1 Gl.). Die Spendensammlung ergab die erkleckliche Summe von 592 Gl., dazu 5½ Saum Wein sowie etliche Mütt Getreide.

Schon im November 1664 konnte in der Kapelle St. Sebastian auf einem Tragaltar erstmals die Heilige Messe gefeiert werden. Ihre offizielle Weihe erfuhr die Kapelle allerdings erst im Mai 1695.

Das Stifterwappen Fleckenstein-Kündig von Heidegg

Geschnitzte Wappentafel Fleckenstein-Kündig von Heidegg. © Kantonale Denkmalpflege Aargau, Roger Wehrli

Jetzt aber zu den beiden geschnitzten Wappentafeln, die hoch oben zu beiden Seiten des Altars hängen. Dank der auf der Spenderliste von 1663/64 vermerkten Namen konnte das Allianzwappen auf der rechten Seite bald Oberst Heinrich Fleckenstein und seiner ersten Frau Jakobea Kündig von Heidegg († spätestens 1627) zugeordnet werden. Der Luzerner Schultheiss und Tagsatzungsgesandte Heinrich Fleckenstein (* um 1578, † 10.9.1664) war einer der vermögendsten Eidgenossen seiner Zeit: an den Neubau des Bürgerspitals von Luzern vergabte er nicht weniger als 15'000 Gl.! Fleckenstein war gemäss Akten (Eidgenössische Abschiede) beispielsweise im Januar 1664 als luzernischer Gesandter bei der Tagsatzung in Baden.

Im viergeteilten Schild findet sich zweimal das Wappen Fleckenstein mit der Beschreibung (Blasonierung): "Schrägrechts geteilt, von Blau goldenes Getreidehohlmass besetzt von goldenem Kreuz, und fünfmal schrägrechts geteilt von Gold und Grün". Es erscheint etwa in mehreren, in den Kreuzgang des Klosters Muri gestifteten Kabinettscheiben der Zeit um 1550/1560. Diagonal dazu ist zweimal das Wappen Kündig von Heidegg angeordnet ("Gespalten von Schwarz und Gold").

Das Stifterwappen Meyer

Das Stifterwappen links im Kapellenchor verrät, dass der Freiburger Schultheiss Simon Petermann Meyer ein wichtiger Wohltäter der Kapelle war. © Kantonale Denkmalpflege Aargau, Roger Wehrli

Weit schwieriger gestaltete sich die Identifizierung des Wappens auf der linken Seite; sie gelang nur dank der Hilfe des Heraldikers Markus Reto Hefti, Oberhof, dem hier nochmals herzlich gedankt sei. Dieses Wappen mit der Fachbeschreibung (Blasonierung) "in Silber ein schrägrechter schwarzer Balken nach der Figur belegt mit zwei silbernen Pfeileisen" gehört der Freiburger Ratsherrenfamilie Meyer. Das Wappen in der Tegerfelder Kapelle dürfte sich auf Simon Petermann Meyer (* um 1612, † 18.10.1678) beziehen. Er amtete 1663 bis 1678 als Freiburger Schultheiss und weilte in den 1660er-Jahren mehrfach als Tagsatzungsgesandter in Baden.

Zwar figuriert auf der Spendenliste für die Sebastianskapelle Tegerfelden nur die Stadt Freiburg, doch ohne den Einfluss von Schultheiss Meyer wäre es wohl kaum zu dieser Vergabung gekommen – keine andere derart weit von Tegerfelden entfernte Stadt spendete für den dortigen Kapellenbau. Die Höhe der Spenden der katholischen Stände war mit jeweils 40 Gl. identisch, eine Absprache also kaum von der Hand zu weisen. Selbstverständlich kannten sich die katholischen Gesandten der Tagsatzung bestens – alle gehörten sie den höchsten politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Eliten an. Teilweise scheinen sogar verwandtschaftliche Bande bestanden zu haben: Heinrich Fleckenstein etwa heiratete in 2. Ehe eine Elisabeth Meyer … aus Freiburg. Ob es sich um eine Schwester von Simon Petermann Meyer handelt, konnte bisher nicht geklärt werden. (Edith Hunziker)

Das Wappen der Freiburger Ratsherrenfamilie Meyer im 1647/48 angelegten Freiburger Fahnenbuch. © Freiburg, Staatsarchiv Freiburg, Gesetzgebung und Verschiedenes 53, Fahnenbuch (www.e-codices.ch).