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Wer die charmante und gemütliche Gaststube im Erdgeschoss des Blauen Engels kennt, der wäre wohl über die etwas angestaubte Wohnatmosphäre im 1. Obergeschoss überrascht gewesen. Eine über Eck belichtete Stube mit spätgotischen Reihenfenstern und vereinzelt sichtbare Balken liessen den einstigen Glanz des zeitweilig als Untervogtei genutzten Baus nur erahnen. Abgehängte Decken, Wandverkleidungen und neuere Böden machten wenig spürbar, dass man sich in einem historischen obrigkeitlichen Bau befand. Dies hat sich jüngst geändert.

Speisewirtschaft Vogt (Zum Blauen Engel). © Kantonale Denkmalpflege Aargau, 1949

Mitten in der ländlichen Gemeinde Rüfenach, von der Strasse etwas abgerückt, steht ein steilgiebliger, dreigeschossiger Mauerbau. Über dem Reihenfenster des Erdgeschosses verweist eine Tafel mit der Inschrift "Speise-Wirtschaft" auf die vormalige Nutzung. Seit 1804 bestand im Haus das Recht, den eigenen und in der Region zugekauften Wein in der Stube auszuschenken. 1875 erhielt der damalige Besitzer Johann Kaspar Märki die regierungsrätliche Bewilligung, in den Räumen eine Pinte zu eröffnen. Ab 1903 erfolgte dann der Wandel zur eigentlichen Speise-Wirtschaft, wovon besagtes Schild an der Fassade immer noch zeugt. Wer mehr über die bewegte Geschichte des Gasthofs erfahren möchte, dem sei die entsprechende Lektüre von Historiker Max Baumann in den Brugger Neujahrsblättern von 1983 empfohlen. An dieser Stelle sei immerhin verraten, dass der überregional bekannte Namen "Zum Blauen Engel" auf den Kosenamen der einstigen Wirtstochter Anni Märki zurückgeht, die in blauer Aargauer Tracht die Soldaten während der Aktivdienstzeit des Zweiten Weltkrieges bewirtete und offenbar Eindruck hinterliess.

Nebenstube im 1. Obergeschoss vor dem Umbau. © Kantonale Denkmalpflege Aargau, 2016

Die Geschichte des seit 1948 kantonal geschützten Bauwerks geht aber weit über die Vergangenheit als Gasthaus zurück. Vereinzelte Bauinschriften an Türportal und Fenstersturz verweisen auf die Erstellung und Eigentümer des Bauwerks in den Jahren 1604/05. Auf seine ursprünglich spätgotische Herkunft verweist auch das Gebäudeäussere. Die gekoppelten Fenstergruppen mit teils reich verzierten Sandsteingewänden, der steile Giebel mit der Aufzugsöffnung zur Einbringung von Gütern und die massive steinerne Materialisierung zeugen von der repräsentativen und obrigkeitlichen Bedeutung des Objekts. Die im Rahmen der Umbaumassnahmen vorgenommenen bauarchäologischen Untersuchungen bestätigen dessen Entstehungszeit im frühen 17. Jahrhundert.

Obwohl das Objekt seit Dekaden geschützt ist, scheinen sich offenbar einige Veränderungen in der Wohnung des 1. Obergeschosses eingeschlichen zu haben, die der Denkmalpflege im Detail nicht bekannt waren. Immerhin, das sollte sich noch zeigen, hatten die in vergangenen Jahrzehnten vorgenommen Veränderungen keinen erheblichen Einfluss auf die historische Bausubstanz. Gleichwohl war die erste Innenbegehung ernüchternd, zumal das Gebäudeäussere auch vom Innern mehr erwarten liess.

Bauzeitliche Treppe ins 2. Obergeschoss.
Bauzeitliche Treppe ins 2. Obergeschoss. © Kantonale Denkmalpflege Aargau, 2016

Ganz anders verhielt sich das Empfinden bei der Erstbesichtigung des 2. Obergeschosses und des Dachstuhls. Hinter einer Zimmertür verborgen, führte eine steile Stiege aus Blockstufen zu den weitgehend unberührten Kammern und Lagerräumen der oberen Geschosse.

Bohlenwände und Decken sind russgeschwärzt. © Kantonale Denkmalpflege Aargau, 2023

Ab dem 2. Obergeschoss schien die Zeit seit Jahrhunderten stehen geblieben zu sein. Mächtige behauene Deckenbalken, Bohlenwände, barocke Türen mit Beschlägen, alles russgeschwärzt, vermitteln noch beinahe unverfälscht den Eindruck, wie er wohl vor über 400 Jahren schon bestand.

Kammer im 2. Obergeschoss mit neuem Boden, zeigt die damalige Einfachheit dieser Räume. © Kantonale Denkmalpflege Aargau, 2023

Im Rahmen der aktuellen Baumassnahmen konnten diese Räumlichkeiten weitgehend belassen werden. Einzig ein neuer Bretterboden bedeckt die für die energetische Ertüchtigung notwendig gewordene Wärmedämmung zum darunterliegenden Wohngeschoss.

Hauptraum im 1. Obergeschoss, nach dem Umbau. © Kantonale Denkmalpflege Aargau, 2023

Im eigentlichen Wohngeschoss wurde substanziell einzig eine später hinzugefügte Trennwand entfernt, um die Küche zu vergrössern. Ansonsten zeigte sich der vierteilige ursprüngliche Wohnungsgrundriss nach wie vor tauglich, um auch heutige Wohnbedürfnisse zu befriedigen. Die in die Jahre gekomme Küche und das Bad wurden nach Wunsch der Bauherrschaft erneuert. Die hauptsächlichen denkmalpflegerischen Massnahmen betrafen die Freilegung der historischen Oberflächen. So konnte durch die Entfernung von diversen nachträglich hinzugefügten Schichten die Raumhöhe vergrössert werden. Der im Grundsatz recht einfache überlieferte Materialkanon von verputzem, weiss getünchtem Mauerwerk sowie holzsichtigem innerem Wandriegel und Deckenbalken, verleiht den Räumen wieder eine für das Bauwerk adäquate Gestalt. Der einfache Boden aus Tannenriemen ergänzt das Zusammenspiel der historischen Elemente. Besonderes Augenmerk verdient die Stube mit dem Kachelofen, deren bereits früher bemalte Deckenbalken neu mit einer kühl wirkenden, grauen Ölfarbe gefasst wurden. Stube wie Nebenstube erhielten zudem neue holzsichtige Fenster mit zeittypisch barocker Gliederung und passenden Beschlägen. Dass selbst in einfachen historischen Räumlichkeiten viel Potential schlummert, zeigt sich anschaulich am Beispiel der Nebenstube. So zeigt die folgende Aufnahme denselben Raum, wie das zweite Foto dieses Artikels. In altbewährter Kompromissfindung zwischen denkmalpflegerischen Anforderungen und Ansprüchen der Eigentümerschaft und der Planenden wurde die Wohnung im Blauen Engel für künftige Generationen gerüstet, obwohl mehr "Neues" als "Altes" entfernt wurde. (Heiko Dobler)

Nebenstube im 1. Obergeschoss, nach dem Umbau. © Kantonale Denkmalpflege Aargau, 2023